Freitag, 26. Oktober 2012

Hausfrauen-Porno in Grau


Frau kommt ja doch nicht drum rum, also besprechen wir es rasch auch hier: Die Erotik-Trilogie „Shades of Grey“ ist wie ein schlimmer Autounfall,  grau-sam und wir schauen doch alle hin...
Dabei ist schon der Titel alles andere als „sexy“. Fünfzig Schattierungen Grau. Klingt fad, farblos, trist... und so ist es auch... vor allem sprachlich ist es eher schlicht grestrickt.


Pantone Scala
Immerhin die Umschlaggestaltung der deutschen Ausgaben ist aufwändig luxuriös und durchaus sexy. Orchideen – die sexiesten Blumen (Orchid, altgrich. für Hoden) – zieren den haptisch samtig anmutenden Einband.

Déjà Vus
Ausgerechnet eine Britin – („No sex please, we´re British“ – heißt die Erfolgskomödie von Alastair Foot aus 1971 in dem just ein versehentlich gelieferter Porno ein junges Eheleben in ungewollte Turbulenzen bringt) schreibt den Aufreger des Jahres.
Wieder ein Überraschungs-Bestseller in Serie einer Britin. Wie ich meine, beinahe eine logische Konsequenz: Von Rowlings Kinderbuch über den Aufstieg und die Befreiung eines rothaar-strubbeligen Magier mit schwerer Kindheit und Zauberstab zu E. L. James´ Frauenphantasie über Milliardär mit kupferfarbigen-out-of-bed-Hairstyle, auch mit schwerer Kindheit und mit Jadestab...
Ich persönlich stelle mir „Fifty“ gemäß der Beschreibung im Buch als Crossover von Harry Potter, Prince Harry und Prince William vor und Ana wie Kate Middleton. Soviel zur Phantasie der Autorin. Sie selbst, so liest man, favorisiert für die bereits in Planung befindliche Verfilmung Ryan Gosling für die Rolle des Christian Grey. Er hat zwar keine silbergrauen Augen (aber farbige Kontaktlinsen sind ja schon erfunden) hat aber sowohl romatische Kitsch-Helden (Wie ein enziger Tag) als auch geheimnisvolle Macho-Super-Lover (Crazy, Stupid, Love) bereits im Repertoire.
Damit trifft er genau ins Schwarze, denn „Fifty Shades of Grey“ begann zunächst als Twilight-Fanfiction in Blogform und die Zielgruppe für die daraus entstandene Roman-Trilogie waren gemäß eigener Aussage von E.L. James niemand anderer als Rosamunde Pilcher-Leserinnen! Immerhin ist damit dann doch ein breites Spektrum vom Teenie bis zur Seniorin abgedeckt. Zwar war dies gar nicht strategisch geplant, so ist die Rechnung doch mehr als aufgegangen. Die Verkaufszahlen sprengen alle Rekorde, auch die von Harry Potter!  E. L. James hat Joanne K. Rowling schon eingeholt, und reicher als die Queen sind sie beide längst (womit sie auch nicht mehr von Prinz William träumen müßten)! In Phantasie, Sprache und Botschaft ist Rowlings Harry Potter allerdings überlegen.
Das Time Magazin rangiert die Autorin unter den 100 einflußreichsten Menschen der Welt. Was das Geschehen in den Schlafzimmern der Welt betrifft hat sie bestimmt Einfluß genommen. Denn während die meisten Leserinnen wahrscheinlich vor Allem auf die romantisch-utopische Rahmenhandlung abfahren – die sprichwörtliche Jungfrau Ana knackt emotionalen Krüppel (einen Mann dazu zu bringen über seine Gefühle zu sprechen als die ultimative sadomasochistische Praktik!), mögen die Partner der 50-Shades-Jüngerinnen über die neue Offenheit im Schlafzimmer umso entzückter sein.
Disney wird´s wohl nicht verfilmen...
Und wer hat´s erfunden?
Der Hype um die Erotik-Romane ist, abgesehen von der sprachlichen Schlichtheit, auch deshalb erstaunlich, als das Thema mit nichten neu ist. In der Einfachheit und "von Frau für Frau" vielleicht doch aber nicht bahnbrechend.
Was heute unter dem kryptischen Kürzel BDSM (als Sammelbezeichnung für ausgefallenere sexuelle Vorlieben im Sado-Maso Bereich oder auch „kinky Sex“, Fetisch-Sex u.dgl.) „firmiert“ fußt vor Allem auf Praktiken wie sie niemand geringerer als Donatien-Alphonse-François, Marquis de Sade (1740-1814) und Leopold Ritter von Sacher-Masoch (1836-1895) schon beschrieben haben und nicht zu letzt auch ihre Namen dafür stehen.
Der Österreicher Sacher-Masoch schrieb 1870 die Novelle „Venus im Pelz“. Es sollte der erste Teil eines sechsbändigen Zyklus zum Thema „Liebe“ werden, der aber nie weitergeführt wurde. Sacher-Masoch beschreibt darin die extremen Wechselbäder der Gefühle, die der „Sklave“ Severin durch seine Herrin Wanda erfährt, die ihn in ihrer feminin-dominanten Rolle als Venus im Pelz an seine körperlichen und geistigen Grenzen treibt, um ihn schließlich zu verlassen – wegen eigener unbefriedigter Unterwerfungssehnsucht oder aber um ihn von seinem „Masochismus“ zu heilen. (Anm. Der Begriff „Masochismus“ wurde in Anlehnung an die Novelle und nach dem Autor 1886 durch den Psychiater und Neurologen Richard von Krafft-Ebing geprägt.)
Nach Tizians „Venus mit dem Spiegel“,
Pelz als Symbol der Tyrannei, Grausamkeit! 
Fifty-Shades-Autorin E. L. James scheint das Werk des Namensgebers zu kennen. Als Referenz nennt die Protagonistin ihr altes Auto liebevoll „Wanda“ – nach der Venus im Pelz, Wanda von Dunajew höchstselbst. In Sacher-Masochs Klassiker ist die Frau die Domina, der sich der Ich-Erzähler bedingungslos unterwirft. Und auch in James´ Erotik-Roman erfährt der „Held“ seine sexuelle „Erziehung“ durch eine dominante Sadistin bevor er selbst Frauen unterwirft und der wird, den Ana „befreit“. Weitere Parallelen: Ebenso wie Wanda ist Christian jung, reich und schön, lebt für das Vergnügen und den Genuß und die Beziehung zu ihren Unterworfenen ("Subs") wird durch einen Vertrag geregelt.
Für die damalige Zeit war „Venus im Pelz“ schon sehr gewagt eindeutig formuliert, wenngleich kein einziger Akt erwähnt wird und auch die „SM-Praktiken“ nur vage beschrieben werden. Die Britin E. L. James schreibt auch weitaus züchtiger als der geneigte Leser es befürchtet/erhofft. Es bleibt alles rellativ harmlos, sprachlich simpel und die unzähligen sexuellen Akte verlaufen letzendlich immer gleich, in immer gleichen Worthülsen ab –  Baby, wie feucht du für mich bist“ –  der Höhepunkt kommt immer in Wogen der Lust daher, die die Ich-Erzählerin gleich einem orgastischen Zunami überschwemmen... – übrigens weit häufiger mit „Blümchen und Schmetterlingen“ als mit einschlägigem „Folterwerkzeug“ herbeigeführt.
Während Sacher-Masoch die Augen der Domina in allen Farben beschreibt: „schwärmerisch, schmachtend, versengend, müd-wollüstig“, spiegeln die Augen des Fifty-Shades-Prinzen nur eben jene Grautöne wieder.
Fazit: Wer mitreden will und wer sonst nichts zu tun hat lese (Cliffhänger sei Dank) alle 2000 Seiten der "Mummy-Porn"-Trilogie dennoch, und mache Frau Leonard, wie E. L. James im bürgerlichen Namen heißt, noch ein bißchen reicher. Immerhin: sogar Ober-Emanze Alice Schwarzer hat das vermeintlich machistische Werk abgesegnet, "da sich die Protagonistin letztendlich nicht unterwirft" – ich würde sogar soweit gehen zu sagen, kindisch-übermütig revoltiert.
Wer klassische Literatur versuchen möchte lese das Original – Projekt Gutenberg macht´s möglich (und nach Ablauf der 70 Jahre Copyright) gratis im Internet.
Auch erotisch, auch ok: „Elf Minuten“ von Paulo Coelho (2003)
Nach einer wahren Geschichte. In dieser Geschichte geht es auch um die Lust an der Selbstaufgabe in der Liebe und die Entdeckung eines ganz anderen Empfindens. Die für Coelho signifikante einfache Sprache verleiht der Geschichte von Maria etwas Märchenhaftes. Coelho gelingt mit „Elf Minuten“ eine würdevolle Leichtigkeit fern jedem Dogma und Tabu. Auch schwierige und intime Themen lässt er nicht aus. Er schildert sie mit einer Würde, wie es selten einem Autor gelang.
Für mich, die ich eigentlich kein Coelho Fan bin, eines der besseren Bücher von ihm und schon eher eine Offenbarung.

Blondinenwitz zum Thema (geklaut von der von mir hochverehrten Polly Adler):

Warum sehen sich Blondinen Pornofilme immer bis zum Schluss an? - Weil sie immer hoffen, dass am Ende doch noch geheiratet wird! 

Fan-Shoppingliste:
Den Fifty-Shades Fuck-Soundtrack gibt´s auch schon und an einschlägigem Merchandising wird fieberhaft gearbeitet. Jedenfalls gibt es die De-Luxe Box welche nicht nur die (englischsprachigen) Bücher sondern auch Handschellen u.a. enthält.
Merchandising und Ambush-Marketing:
Bobby Brown Lidschatten Shades of Grey


Shirts für "Mommy" und Baby:

Bis das gebrandede "Werkzeug" überteuert im Sexshop des Vertrauens oder im Onlinehandel verfügbar ist, empfehle ich dem (Achtung Wortspiel) Hardcore-Fifty-Fan einen Ausflug in den nahegelegen Baumarkt.

Meine Play-List:
Bolero (Maurice Ravel) Wiener Philharmoniker (etwas länger als 11 Minuten...)


Meine Lieblings-Zitate aus „Venus im Pelz“ von Leopold Sacher-Masoch:
„Die Natur kennt keine Dauer in dem Verhältnis von mann und Weib."
„In der Liebe gibt es kein Nebeneinander“
„ich kann mir gut denken, dass ich einem mann für das Leben gehöre, aber es müßte ein voller Mann sein, ein Mann der mir imponiert, der mich durch die Gewalt seines Wesens unterwirft, ... und jeder Mann ... wird, sobald er verliebt ist – schwach, biegsam, lächerlich, wird sich in die Hand des Weibes geben, vor ihr auf Knien liegen, während ich nur jenen dauernd lieben könnte, vor dem ich knien würde.“
„Aber du willst nur mein sein unter Bedingungen, während ich dir bedingungslos gehöre“
„besser dich verlieren als dich nie besitzen“ich achte nur eine Frau, die tugendhaft ist, oder offen dem Genusse lebt“
„Ich glaube ... daß man, um einen Mann für immer zu fesseln, ihm vor allem nicht treu sein darf. Welche brave Frau ist je so angebetet worden, wie eine Hetäre?“
„Die Liebe kennt keine Tugend, kein Verdienst, sie liebt und vergibt und duldet alles“.
„Es ist wirklich ein Genuß, einen Menschen so in seiner Gewalt zu haben und noch dazu einen Mann, der mich liebt“
„Der Genuß macht allein das Dasein wertvoll“
„Die Moral: „Daß das Weib, wie es die Natur geschaffen und wie es der Mann gegenwärtig heranzieht, sein Feind ist und nur seine Sklavin oder seine Despotin sein kann, nie aber seine Gefährtin. Dies wird sie erst sein können, wenn sie ihm gleich steht an Rechten, wenn sie ihm ebenbürtig ist durch Bildung und Arbeit.“
„Daher die Moral der Geschichte: Wer sich peitschen läßt, verdient gepeitscht zu werden“.