Mittwoch, 29. Juni 2011

Wie im Märchen – oder ein ganz normaler Tag


Die Erdanziehung scheint geradezu unüberwindbar als sich Dornröschen müde aus dem Bett schält, nachdem sie der Wetterfrosch per Radio geweckt hat. Eine schnelle Dusche erweckt doch ein paar Lebensgeister. Der Blick in den Spiegel erinnert sie an die böse Königin aber ein Griff in die Trickkiste der Kosmetik verleiht dem Gesicht einen Anschein von Frische und verwandelt sie wieder in eine schöne Prizessin. Dann setzt sie sich ihr rotes Käppchen auf und schreitet wohlgemutes den Herausvorderungen des Tages entgegen.

Da sie keine Zeit zum Frühstücken hatte, geht sie beim Backshop vorbei um sich ein Brötchen zu kaufen. Dort ist so viel los, dass die Verkäuferin heillos überfordert und rescher als ihr Gebäck ist. Als dann auch noch der Aufbackofen wild und laut pfeift, greift Marie zur Tat und holt die heissen Brötchen für die Verkäuferin aus dem Ofen, während sie geduldig auf ihr Frühstück wartet. Zum Dank bekommt sie ein zu dunkel geratenes Brötchen vom Vortag.

An der U-Bahnstation trifft sie ihren Kollegen Hänsel und sie fahren gemeinsam zur Arbeit in die Lebkuchenfabrik. Die Chefin der beiden ist eine alte, verbitterte und ungerechte Hexe, die Gretel schickaniert und ausnützt und Hänsel ständig zu sich zitiert und oft auch sexuell belästigt. Die feinfühlige Gretel kann das nicht mitanschauen und hilft dem armen Hänsel der Hexe kontra zu geben und eine Anzeige gegen sie einzubringen. Die Chefin fährt aus der Haut und regt sich auf wie das Rumpelstilzchen. Die beiden verlieren ihren Job.

Während Hänsel den Mittag mit seinen Freunden im Biergarten verbringt, geht Schneewittchen weiter ihres Weges. Sie trifft sieben kleinwüchsige alte Herren, die sie unter dem Vorwand sie zum Essen einzuladen, zutexten, lüstern mustern und unter dem Tisch betatschen um sie schließlich im Stich zu lassen: Sie muss in den sauren Apfel beissen und die Rechnung für das Gelage selbst bezahlen.

Eigentlich sollte sie noch auf ein Netzwerktreffen gehen aber sie hatte genug gehört und gesehen vom Herrn Schneider der mehr mit seinen ach-so tapferen Taten aufschnitt als er Kleider zuschnitt, vom Herrn Tischler mit seinem lukrativen Ziegen-Investment und der Frau Fischer, deren Mann ihr anscheinend jeden Wunsch – nach immer tolleren Villen – erfüllte. So beschließt sie statt dessen einen Ausflug in die Natur zu wagen.

Sie geht in den Wald, vorbei am Lebkuchenhaus, auf einsamen Wegen über unwegsames Gelände, bis zu einem geheimen Garten. Dort pflückt Aschenputtel bis spät abends Heidelbeeren. Die Beeren sind ihr so kostbar, dass sie sich während dem Pflücken das Naschen versagt. Stunden vergehen, ihr Rücken schmerzt vom vielen Bücken, die Gelsen saugen ihr Blut und ihre Beine sind von den Stauden zerkratzt. Schliesslich kommt ein großer, reicher, geiziger Mann der behauptet der Garten gehöre ihm und er nimmt ihr fast die gesamte Ausbeute ihrer Ernte ab.

Als sie zu hause ankommt, merkt sie, dass die meisten der verbliebenen Beeren wurmig sind und es bleibt nur eine magere Ausbeute von der vielen, mühsamen Arbeit. Dennoch hat sie ein zufriedenes Lächeln im Gesicht, während sie die Beeren zu Marmelade verarbeitet. Nach stundenlangem Rühren sind die paar Beeren zu einer nur geringen Geleemasse verkocht. Es reicht gerade für ein winziges Gläschen – so eines wie man in Flugzeugen oder im Hotel zum Frühstück bekommt. Mit Stolz beklebt sie es mit einem liebevoll gestalteten Etikett bevor sie schließlich erschöpft ins Bett fällt.

Sie denkt kurz daran die Marmelade doch gleich zu verkosten, verzichtet dann aber, schließlich sollte diese Leckerei zu einem besonderen Anlass genossen werden oder einen traurigen Moment versüssen. Plötzlich ertönt ihr Handy: ein SMS. Es ist vom Herrn Prinz, der gegenüber wohnt und auf den sie schon lange ein Auge geworfen hat. Sie läßt ihr Haar herunter und ihn ein. Ihm war gerade fad und er hatte schon lange nicht... also beschloss er mal bei Rapunzel reinzuschneien. Er kommt auch schnell zur Sache und schläft noch schneller hinterher ein. Sie liegt noch lange wach und läßt im postkoitalen Rausch den langen Tag Revue passieren. Weswegen sie am Morgen danach erst recht wieder zu spät aufwacht.

Der Herr Prinz ist schon weg. Am Spiegel entdeckt sie ein Post-it von ihm: „Muß zum Augenarzt – melde mich“. Als sie in der Küche nur ein rasches Stehfrühstück in Form einer Happy-pille und einem Smoothie einnehmen will, erstarrt sie vor Schreck. Das Unfassbare war geschehen. Er hat sich wohl auch noch ein Frühstück bei ihr genehmigt und die frische Heidelbeermarmelade – die Essenz ihrer Anstrengungen, das Bißchen Trost für kalte, graue Wintertage – razeputz und auf einem Sitz aufgegessen. Er hatte sich offensichtlich nicht einmal die Mühe gemacht einen Löffel zu benützen, denn die klebrigen Fingerabdrücke sind über die ganze Küche verteilt. Ja so sind´s die Prinzen!

Und ein neuer SCHöner Tag beginnt...

Buchtipp weil das Cover-Comic so passt und ich Perscheid so liebe:



Mittwoch, 22. Juni 2011

Was war vor "Sex and the City"? III

DAS Role Model für Carrie Bradshaw war gewiss auch und vor allen Dorothy Parker (1893-1967). New Yorkerin durch und durch, Schriftstellerin, Femme Fatale und Enfant Terrible der New Yorker Szene in den 20/30/40er Jahren und Mitbegründerin des "New Yorker" - jenem Magazin bei dem "heute" die fiktive Carrie Bradshaw ihre Kolumne "Sex an the City" tippt.

Dorothy Parker (1893-1967)

Die heute so berühmte Carrie Bradshaw nimmt sich im Vergleich mit ihrem historischen Vorbild jedoch schlichtweg als "Unschuld vom Lande" aus. Gemein ist ihnen: weit über ihre Verhältnisse zu leben, ihre bedingungslose Liebe zu New York, ihr Stil, ihr Einfluß, ihr Humor und das Schreiben von Kurzgeschichten - u.a. für den "New Yorker" und "Vogue".

Wenngleich Dorothy Parker tatsächlich mit dem Who-is-Who des New Yorker Geldadels verkehrt (in mehr als einer Hinsicht) und einige der brillantesten Schriftsteller zu Ihrem "Vicious Circle" am "Round Table" des Algoquin Hotels schart, ist ihr Leben tatsächlich doch eher trist. Sie soll zwar auch immer in die neueste Mode und feinstes Tuch gehüllt gewesen sein , Shopping war aber die geringste ihrer Süchte. Schwer Alkohol- und Medikamentensüchtig starb sie letzten endes, einsam und verarmt in einem kleinen Hotelzimmer jenseits der 72. Strasse - dabei hörte New York für sie einst eben dort auf...

"Ich möchte niemals irgendwo hingehen, von wo aus ich nicht bis spätestens Mitternacht zum Broadway und in die 44. Straße zurückkommen kann."

Ironie von der Wiege bis zur Bahre


Die leidenschaftliche New Yorkerin wurde 1893 als Halbjüdin, als Dorothy Rothschild (allerdings nicht von DEN Rothschilds) in New Jersey geboren - im Sommerurlaub der Familie. "Ich wurde um die Ehre gebracht, eine gebürtige New Yorkerin zu sein, weil ich zur Welt kommen musste, während die Familie den Sommer in New Jersey verbrachte (...)". I
hre Kindheit war bereits von Drama gezeichnet, so soll sie schon früh mit dem Spruch "what fresh hell is this?" die Türglocke oder das Telefon beantwortet haben. Depressionen begleiteten sie ihr Leben lang.
Sie war eine der einflußreichsten US- TheaterkritikerInnen und SchriftstellerInnen und feierte mit ihren Kurzgeschichten große Erfolge. Einen Roman zu schreiben gelang ihr nie, ihre Drehbücher, die sie als hochbezahlte Autorin diverser Hollywoodstudios verfasste, wurden meist nie verfilmt (oder letztendlich nicht veröffentlicht) und ihre eigenen Theaterstücke waren Flops.
Die zwei Dutzend "Algonks" - so nannten sich die "Tafelritter" - erhielten zusammen sieben Oscarnomminierungen, vier Oscars, zehn Pullitzerpreise und zwei Tony Awards. Dorothy Parker selbst sollte keinen dieser begehrten Preise ihr eigen nennen.

In Ihrer Zeit bei "Vanity Fair" machten sie und ihr Kollege und Lebensmensch Robert Benchley sich den Spass "komische" Todesanzeigen auszuschneiden und aufzuhängen und ihre eigenen Grabinschriften zu verfassen. Ihr früher Entwurf lautete "Excuse my Dust".
Die Urne mit der Asche ihrer sterblichen Überreste sollte dann tatsächlich 22 Jahre in Abstellräumen von Bestatter und Anwälten verstauben, bis sie 1988 endlich ihre letzte Ruhe und Ehre in einem ihr gewidmeten "Dorothy Rothschild Parker Memorial Garden" - in Baltimore (!) findet.

Dorothy und ich

In unseren Breiten ist Dorothy Parker weitgehend unbekannt. Scha(n)de. Ich habe zwar in Vorbereitung auf meine erste New York Reise, vor 20 Jahren, eine ihrer Kurzgeschichten gelesen, sollte sie aber dann wieder vergessen. Ich "begegnete" ihr erst wieder in in den Kolumnen von Polly Adler, welche sie gerne zitiert.
Ich selbst konnte auch ein paar Gemeinsamkeiten mit der New Yorker Grande Dame ausmachen, ich mag nicht so mondän und brillant sein, den Hang zum Drama, das fehlende Glück mit Männern und das Zweifingersystem, mit welchem ich hier tippe, teile ich jedenfalls mit ihr...

Cocktail Serviette aus dem
Algonquin Hotel, New York 44th Street

Nun ist eine sehr interessante und kurzweile deutschsprachige Biographie mit dem spritzigen Titel "Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber" (ein Dorothy Parker Zitat, what else?) von Michaela Karl erschienen, welche ich freilich flugs mit Genuss verschlungen habe!

Ich habe mit Entsetzen, aber auch einer gewissen Erleichterung festgestellt, dass eine Frau gar nicht klug genug sein kann, um nicht doch einen bemerkenswert schlechten Geschmack zu haben, was Männer anbelangt, und dass eine grenzenlose Leidenschaft zum Unglücklichsein nicht davon abhalten muss, witzig zu sein.“ (Michaela Karl, Biografin von Dorothy Parker)

Es gibt auch einen schönen (traurigen), hochkarätig besetzten Film über Sie und ihre Tafelrunde: Mrs. Parker und ihr lasterhafter Kreis (englischer Originaltitel: Mrs. Parker and the Vicious Circle bzw. Mrs. Parker and the Round Table).


Meine Lieblingszitate von Dorothy Parker:

Dorothy Parker auf die Frage wie ihr Traumman aussähe: „Brillant genug, um unterhaltsam zu sein, böse genug, um aufregend zu sein, und clever genug, um ein guter Zuhörer zu sein.

„(Der Boss) hat dich noch nie gesehen, wenn du um 8.45 Uhr ins Büro gekommen bist, aber komm einmal um viertel nach zehn, dann wird er mit dir im Lift hochfahren

Wenn du wissen willst, was Gott über Geld denkt, dann guck dir bloß die Leute an, denen Er es gegeben hat.“

I know the things I know, And do the things I do; And if you do not like me so, To hell, my love, with you!

Rena Koenig: If I had a Gun
Hommage à Niki de Saint Phalle
70x90cm, Acryl auf Leinwand
10/2010

If I had a shiny gun, I could have a world of fun. Speeding bullets through the brains, Of the folk who give me pains.

Spott mag mein Schild sein, aber es ist keine Waffe

Ich weiß es wird ein großer Schock für sie sein, Mr. Goldwyn, aber in der Geschichte der Menschheit, die Millionen und Abermillionen Menschenleben gesehen hat, hatte nicht ein einziges ein Happy End.

Schick niemals einen Laufburschen zu einer Besorgung, für die es einen ganzen Mann braucht.

Alles ist immer schlimmer, als man sich´s vorgestellt hat.

Frauen und Elefanten vergessen niemals.

London befriedigt dich, Paris lässt dich resignieren, New York aber gibt dir immer Hoffnung.

An dem Tag, an dem du Ungerechtigkeit akzeptierst, solltest du dich erschießen.


Was war vor "Sex an the City" I